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23 Grad ohne Öl und Gas

02. Dezember 2022

Stellt euch vor, man würde fürs Heizen und Kühlen von 35 Einfamilienhäusern mit insgesamt 2000 Euro im Jahr auskommen. 2000 Euro nicht für jedes einzelne, sondern für alle zusammen! Was sich wie ferne Utopie oder zumindest wie ein Rechenfehler anhört, ist in Hallwang bei Salzburg gelebte Realität.

Denn die Volksschule im Ort hat ein Raumvolumen von ungefähr 35 Einfamilienhäusern und der Kostenaufwand für das Heizen und Kühlen beläuft sich auf knapp 2000 Euro im Jahr! Und nicht nur das, das Gebäude wir dabei auch CO2-neutral betrieben, denn es erzeugt mehr nachhaltige Energie als es verbraucht. Das macht es zum perfekten Ausgangspunkt, um uns das Prinzip der „Wärmewende”, der wir ja auch eine eigene Episode (#21) gewidmet haben, nochmal etwas genauer anzusehen. Denn nur zur Erinnerung: 60% der Wärme- und Kälteenergie werden in Österreich immer noch aus Gas, Öl und Kohle erzeugt. Das heißt, damit wir unsere Klimaziele erreichen können, braucht es dringend eine “Wärmewende”, also die Abkehr von fossilen Brennstoffen für die Bereitstellung von Wärme und Kälteenergie in unserer Gesellschaft. Und genau das ist in Hallwang gelungen. Verantwortlich dafür ist der (wie er sich selbst bezeichnet) „verrückte Haustechniker“ Harald Kuster, der das Energiesystem für die Volksschule entworfen und uns auch schon in unsere Episode 12 „Außerhalb der Norm“ durch das Gebäude geführt hat. Nicht alles was er uns dabei erzählt hat, hat es dann auch in den Podcast geschafft. Deswegen könnt ihr jetzt genau nachlesen, was das Energiesystem der Volksschule Hallwang so besonders macht, und was wir dort aus dem Kleinen für das Große lernen können!

 

“Es hört sich kompliziert an, es ist aber eigentlich ein ganz einfaches, fast primitives System. Wobei, ich bin belehrt worden, besser intelligentes System zu sagen!”

Das Energiesystem der Volksschule Hallwang kombiniert unterschiedlichste Gebäudetechniken, die für sich selbst genommen schon lange bekannt und deswegen auch nichts Besonderes sind. Die Intelligenz entsteht erst in ihrem Zusammenspiel. Fangen wir bei der Gebäudehülle an. In den letzten 100 Jahren hat sich die Bautechnik extrem verbessert. Ein Haus, das um die Jahrhundertwende gebaut wurde, verbrauchte zwischen 300-500 kWh an Energie pro Quadratmeter und Jahr. Mit der heutigen Technik kann dieser Wert um das 20 bis 30-Fache gesenkt werden! In Hallwang werden deswegen nur 15 kWh pro Jahr und Quadratmeter benötigt, um das Gebäude mit 23 Grad Celsius zu temperieren.

 

“Die technische Revolution der Gebäudedämmung ist die Basis, die es uns heute überhaupt ermöglicht, nachhaltige Energiequellen wirtschaftlich einzusetzen. Da wir nicht mehr die gleichen Verluste durch die Hülle haben wie vor 100 Jahren, müssen wir nicht mehr so hohe Energiemengen in das Gebäude hineinblasen, um es zu beheizen.“

Der hohe Dämmwert neuer Gebäude ermöglicht ganz neue Formen nachhaltiger Energiesysteme. Denn eine gute Dämmung bedeutet, dass einem Gebäude sehr viel weniger Energie zugeführt werden muss, um es auf Temperatur zu halten. Aufgrund dieser Energieeffizienz ist es heute überhaupt erst möglich geworden, nachhaltige Energiequellen in der Gebäudetechnik wirtschaftlich und breitenwirksam einzusetzen. Denn nachhaltige Energiequellen folgen einer anderen Logik als Gas, Öl und Kohle: Es gibt große Ertragsunterschiede zwischen Tag und Nacht, Winter und Sommer. Denn die Sonne scheint, wenn sie scheint und der Wind weht, wenn er weht. Die Geothermie gilt zwar als “grundlastfähig”, kann also rund um die Uhr Energie bereitstellen, es muss jedoch selbst bei der Erdwärme darauf geachtet werden, dem Untergrund nicht zu viel Energie zu abzuernten, da er sonst einfriert. Deswegen muss ein System, das sich diese Energiequellen zunutze macht, sehr sparsam und eben nachhaltig mit der gesammelten Energie umgehen – das bedeutet, sie so lange wie möglich in einem Energie-Kreislauf halten. Am Beispiel Hallwang wird das sehr klar: Auf Grund des guten Dämmwertes des Gebäudes kann die geerntete Energie aus den Sonnenkollektoren auf der Fassade sehr lange im Gebäudeinneren gehalten werden. Auch deshalb, weil der Abluft, bevor sie nach draußen abgeleitet wird, die Wärme entzogen und ins Gebäude zurückgeführt wird. So geht auch die erzeugte Körperwärme der fast 300 Personen, die im Gebäude leben und arbeiten, nicht beim Lüften verloren.

 

“Was kurios klingt, ist ein wichtiger Teil der Energiebilanz. Denn ein Kind produziert 40-50W und ein Erwachsener 80-100W an Wärmeenergie. Rund um die Uhr. Das ist sehr viel Energie, die genutzt werden kann!”

Und so halten die Sonnenkollektoren und die Abluftrückgewinnung an 300 Tagen im Jahr die Temperatur im Hausinneren konstant. Nur an sehr kalten Tagen wird zusätzlich Erdwärme aus Erdsonden, die bis zu 150 Meter tief unter das Gebäude versenkt wurden, nach oben gepumpt und mit einer Wärmepumpe auf die notwendigen Heiztemperaturen erhöht. Das Großartige an der Kombination aus Wärmepumpen und Erdwärme aus Erdsonden ist zudem, dass dasselbe System auch umgekehrt funktioniert und im Sommer zum Kühlen verwendet werden kann. Wie das genau funktioniert, könnt ihr in unserer Folge 21 „Geothermie“ nachhören.

So ein System ist in einem Gebäude mit einem schlechten Dämmwert technisch und wirtschaftlich unmöglich. Im Gegensatz dazu kann eine Gastherme auch die schlechteste Dämmung mit dem Verbrennen von sehr großen Mengen an Erdgas ausgleichen. Das ist möglich, da Erdgas sehr energiedicht ist und rund um die Uhr zur Verfügung steht. Deswegen können auch noch heute Gebäude beheizt werden, die vor 100 Jahren gebaut und noch nicht thermisch saniert wurden. Durch die jahrzehntelangen (künstlichen) niedrigen Preise von Gas und Öl, war dieser verschwenderische Umgang mit Energie auch rentabel. So gab es wenig Anreiz, Gebäude thermisch zu isolieren. Ein Umstand, der viele Haushalte, gerade in der heutigen gesellschaftlichen Situation mit extrem hohen fossilen Energiepreisen, vor große Probleme stellt. Denn ohne thermische Sanierung kann eine Gastherme nicht einfach durch Sonnenkollektoren, Erdsonden und Wärmepumpen ersetzt werden.

 

“Das Problem ist, dass heute noch alles überdimensioniert ist. Wir legen alles auf den Extremfall aus!”

Das System der Erdsonden und Wärmepumpe wird in Hallwang nur bei einem Extremfall, also an sehr kalten oder heißen Tagen zum Heizen oder Kühlen hinzugeschalten. Die Volksschule besitzt also zwei Energiesysteme: eines für den Normalbetrieb und ein zweites für den Extremfall. Das spart eine Menge Energie! Denn so kann das System, das für den Normalbetrieb, also die meisten Tage im Jahr, verwendet wird, so klein und energieeffizient wie möglich gestaltet sein. Das Problem ist nur, dass das nicht der Norm entspricht. Laut Heizlastnorm muss eine Heizungsanlage immer und zu jederzeit für einen definierten Extremfall ausgelegt sein: in Hallwang sind das -14 Grad Celsius. Also jedes verwendete System müsste immer und zu jeder Zeit fähig sein, diese Außentemperatur auszugleichen. Das, obwohl diese Temperaturen im Zeitraum von 10 Jahren für nur wenige Tage auch tatsächlich erreicht werden. Wird aber die ganze Heizungsanlage auf so einen Extremfall ausgelegt, ist sie für den Normalbetrieb vollkommen überdimensioniert und sehr ineffizient.

 

“Die Energiewerte der Volksschule Hallwang sind nur deshalb zu schaffen, da ihr Energiesystem nicht der Norm entspricht.”

Das Problem ist, wer als Techniker:in ein Heizsystem schafft, das sich außerhalb der Normen bewegt, verliert den Versicherungsanspruch im Falle eines technischen Versagens. Das bedeutet, wer so ein System verbauen will, braucht viel Mut und ebenso viel Vertrauen von außen. Denn diese Normen haben einen klaren Sinn: Sie schaffen einen rechtlichen Rahmen zwischen Bauträger:innen und Bauunternehmer:innen, der mögliche Konflikte verhindern soll. Deswegen wurden diese Normen auch nicht hinsichtlich der größtmöglichen Energieeffizienz des verwendeten Systems, sondern der größtmöglichen Sicherheit im Betrieb gestaltet. Eine Zielsetzung, die nachvollziehbar ist, jedoch auch zeigt, dass es manchmal einen verrückten Haustechniker braucht, um zu beweisen, dass es auch anders gehen kann.

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