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Energiegemeinschaften

09. Feber 2023

Wie man nun Strom, wie Äpfel, über den Gartenzaun reichen kann.

Stellt euch vor, das Unternehmen, in dem ihr arbeitet, hat eine Photovoltaikanlage auf dem Dach und liefert euch am Wochenende Strom aus diesen Sonnenpanelen in eure Wohnung. Oder: Du, als Vater, kannst deinem Sohn, der woanders als du selbst wohnt, deinen überschüssigen Strom einfach schenken. Oder: Eure Kinder gehen in eine Schule, die im Sommer, wenn Ferien sind, das regionale Schwimmbad mit Strom versorgt.

“Erneuerbare Energiegemeinschaften” heißt das Zauberwort, das das möglich macht. Denn durch eine rechtliche Regelung können nun Privatpersonen, kleine und mittlere Unternehmen, Gemeinden und Vereine innerhalb einer Gemeinschaft untereinander Strom verteilen und verkaufen. Also Regelungen und Preise selbst bestimmen und so den erzeugten Strom, wie Äpfel aus dem Garten, über die Grundstücksgrenzen hinweg verkaufen oder verschenken.

Weil das Gesetz erst seit Juni 2021 existiert und die Erfahrungen damit noch sehr neu sind, haben wir mit Alexander Simader gesprochen. Er ist Regionalmanager der Modellregion Unteres Traisental & Fladnitztal und hat in dieser kurzen Zeit schon vier Energiegemeinschaften zum Leben verholfen. Denn neben seiner Regionaltätigkeit berät und unterstützt er Menschen dabei, Energiegemeinschaften zu gründen.

Falls ihr vorher lieber ein paar kurze Antworten zu den 10 häufigsten Fragen hören wollt, empfehlen wir euch, dieses Video anzuschauen.

 

Beginnen wir am Anfang: Was kann man jetzt tun, was man vorher nicht tun konnte? 

Bisher war es so: Wenn man selbst Strom erzeugt hat, zum Beispiel über eine Solaranlage auf dem Dach, dann wurde der überschüssige Strom ins Stromnetz eingespeist und damit jede produzierte Kilowattstunde, die man nicht selbst verbraucht, an ein Energieunternehmen verkauft. Der Nachbar, der den Strom zu diesem Zeitpunkt gerade gebraucht hätte, hat dann den Strom wiederum einem Energieunternehmen abgekauft. Seit 2021 gibt es nun aber eine gesetzliche Regelung, die es ermöglicht, den selbstproduzierten Strom über die eigenen Grundstücksgrenzen hinweg zu verkaufen. Also auch von Nachbar zu Nachbar, ohne Energieunternehmen als Zwischenhändler.

Technisch ändert sich nichts. Der Strom fließt nach wie vor über die schon bestehenden Netze. Aber es ändert sich etwas grundlegend anderes: Das Energieunternehmen und die Preise am Strommarkt spielen keine Rolle mehr. Denn wie viel Geld ich für meine überschüssige Kilowattstunde von meinem Nachbarn bekomme, das machen wir uns innerhalb einer Energiegemeinschaft selbst aus.

Die Strompreise – ja, ja, die Strompreise

Was für alle, die selbst keinen Strom erzeugen, nach der Erlösung schlechthin klingt – ein fixer Strompreis unabhängig vom Strommarkt – ist allerdings auch zur größten Herausforderung für Energiegemeinschaften innerhalb dieses ersten Jahres geworden. Denn:

Wer eine PV-Anlage gehabt hat, hat mit der Strompreisexplosion plötzlich sehr viel Geld für seine Kilowattstunde erhalten. Während sich jeder zu Hause beschwert hat, dass man so viel für den Strom bezahlt, hat die gleiche oder eine andere Person anonym in diesen Markt hinein verkauft und das hat sich natürlich massiv ausgewirkt.

Anonym den Strommarkt zu beliefern, war wirtschaftlich viel vorteilhafter, als den gleichen Strom zu einem festen Preis innerhalb einer Energiegemeinschaft dem Nachbarn zu verkaufen. Aber was bedeutet das? Das Ende für Energiegemeinschaften? Nein, sagt Alexander Simader. Denn einerseits bleibt der Markt schwer einzuschätzen. Der Preis wird auf der Strompreisbörse gehandelt und ist deshalb von allerlei geopolitischen und gesetzlichen Faktoren abhängig. Energiegemeinschaften können genau hier ansetzen und eine sonst nicht erreichbare Planungssicherheit herstellen. Andererseits, sagt Alexander Simader, ist das Geld gar nicht unbedingt der ausschlaggebende Grund für die Gründung einer Energiegemeinschaft:

Natürlich wird viel übers Geld geredet. Aber trotzdem merke ich von Tag zu Tag, und das ist nicht nur der Gaskrise und dem Ukraine-Krieg geschuldet, dass die Leute immer mehr Verantwortung für den Klimaschutz übernehmen und dann merken, dass es sehr einfach ist, sich dafür zu entscheiden und mitzumachen. Ich glaube, dass die Bubble, wo es nur ums Geld geht, kleiner wird. Und ich merke das, weil ich draußen bei den Leuten bin.

Energiegemeinschaften geben Bürger:innen Entscheidungsmacht

Ausschlaggebender als das Geld-Argument ist laut Alexander Simader, dass mit den Energiegemeinschaften eine Struktur geschaffen wurde, die Menschen Entscheidungsmacht gibt. Sie funktionieren nicht deshalb, weil jemand davon wirtschaftlich profitiert, sondern weil wir plötzlich als Bürger:innen selbst etwas tun und etwas bewegen können.

Wir reden ja seit 20 oder 30 Jahren davon, dass wir Klimaschutz deswegen betreiben, um weltweit CO2 einzusparen. Aber bis jetzt war das so abstrakt weit weg, irgendwo ein Wasserkraftwerk oder irgendwo ein Windkraftwerk. Jetzt plötzlich hast du das direkt vor dir, bei dir zu Hause. Also wer glaubt, Energiegemeinschaft ist ein Geschäft – nein, das ist es nicht. Sondern es funktioniert, weil die Leute den ersten Schritt tun und stolz sind auf ihren ersten eigenen Schritt. Dann machen sie den zweiten und den dritten.

Durch Energiegemeinschaften haben Menschen plötzlich Entscheidungsmöglichkeiten über ihre eigene Energiesicherheit. Sie können sich in einem Verein oder einer Genossenschaft organisieren, bestehende Anlagen integrieren oder gemeinschaftlich neue planen und aufstellen. Eine gemeinschaftliche Solaranlage am Dach meines Mehrparteienhauses in der Stadt zum Beispiel. Oder eine Energiegemeinschaft in der Gemeinde, die gemeinsam ein Kleinwasserkraftwerk betreibt. Dadurch, dass Energiegemeinschaften in Vereinen, Genossenschaften oder GmbHs organisiert sind, gibt es sehr viel Spielraum dazu, was denkbar ist.

Ein Tinder für Energiegemeinschaften

Ich glaube, es braucht viele Energiegemeinschaften. Meine Erfahrung sagt mir: Ich hätte gerne in meiner Region ganz viele Energiegemeinschaften. Und zwar für jeden seine passende. Ein Tinder für Energiegemeinschaften, das wäre genau das richtige, wo jeder seine passende findet. So, dass potenzielle Nutzungskonflikte von vornherein erkannt und ausgeschlossen werden. Denn bei den einen gehts nur ums Geld. Bei einer Subkultur, mit der ich mir ein bisschen schwer tue, gehts um die Autarkie. Die dritten sagen: Ich gründe eine Energiegemeinschaft in der Familie – mit meiner Mama, meiner Cousine usw. – und ich verschenke den Strom! Davon bin ich ein großer Fan, den überschüssigen Strom zu verschenken. Der nächste sagt aber: Ich will nur Wasserkraft, weil Wasserkraft für mich der Traum schlechthin ist.

Genau so könnte man sich das dann auch vorstellen: Familiäre Energiegemeinschaften, Energiegemeinschaften auf Gemeindeebene, Energiegemeinschaften für Wohnhäuser oder Energiegemeinschaften für soziale Wohnbauten. Viele Projekte, die dabei nicht nur die Energiewende vorantreiben, sondern gleichzeitig auch das Gemeinwesen und den Zusammenhalt stärken.

Ob Energiegemeinschaften Menschen von der Energiewende überzeugen können? Die absoluten Gegner nicht, sagt Alexander Simader, aber die Mitte der Gesellschaft auf jeden Fall. Als Beispiel erzählt er von seiner betagten Mutter, die in einem betreuten Wohnhaus mit Energiegemeinschaft wohnt:

Meine Mama ist jetzt selbst bei einer Energiegemeinschaft und erklärt begeistert, wie das funktioniert. Auch mir. Und das macht sie sicher auch beim Nachmittagskaffee mit dem einen oder anderen älteren Herrn oder älteren Dame, die sagen: „Energiegemeinschaften sind ein Blödsinn”, dass sie darauf sagt: „Das ist wichtig für die Zukunft”. Sobald die Menschen dabei sind, sprechen sie darüber, denn diese kleinen Schritte machen die Leute stolz. Und alles hat mit einem ersten Schritt angefangen.

Wer jetzt gerne ganz konkrete Informationen zur Gründung, Musterverträge und eine Schritt-für-Schritt-Anleitung hätte, schaut sich am besten die Seiten der Koordinationsstelle für Energiegemeinschaften durch: https://energiegemeinschaften.gv.at/schritte-zur-gruendung/

Bei Fragen innerhalb der Gründungsphase stehen auch regionale Energieberater:innen, Regionalmanager:innen oder einzelne Unternehmen zur Verfügung. Eine Liste mit Links aus den Bundesländern findet ihr hier: https://energiegemeinschaften.gv.at/bundeslaender/ 

Wer noch mehr über Strom aus Sonnenenergie hören will, einfach weiterscrollen. In Episode 11 „Lichtnahrung fürs Stromnetz“ haben wir mit der Humanökonomin Susanne Schidler über gesellschaftliche Akzeptanz und der Physikerin Christina Hirschl, die den Standort Silicon Austria Labs leitet, über technische Machbarkeit gesprochen. Und: Wir waren in Oberösterreich unterwegs und haben uns angesehen was Agro-PV ist (Spoiler: kein HipHop) und wie Sonnenstrom dort von Landwirten geerntet wird.

Podcast zu diesem Thema

Die Sonne scheint! Und das soll sie in Zukunft nicht mehr ungenutzt tun. Denn um die Energiewende zu schaffen, soll der Gesamtstromverbrauch bis 2030 zu 100% aus erneuerbarer Energie kommen. Die Photovoltaik wird dabei eine wesentliche Rolle spielen und multifunktionale Nutzung ist das Stichwort der Stunde. Was es mit Agro-PV auf sich hat und wie sich die Photovoltaikanlage in der Sahara von der in den Alpen unterscheiden muss, hört ihr in dieser Folge.
Die Sonne scheint! Und das soll sie in Zukunft nicht mehr ungenutzt tun. Denn um die Energiewende zu schaffen, soll der Gesamtstromverbrauch bis 2030 zu 100% aus erneuerbarer Energie kommen. Die Photovoltaik wird dabei eine wesentliche Rolle spielen und multifunktionale Nutzung ist das Stichwort der Stunde. Was es mit Agro-PV auf sich hat und wie sich die Photovoltaikanlage in der Sahara von der in den Alpen unterscheiden muss, hört ihr in dieser Folge.