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Wasserstoff: Das Brot oder der Champagner der Energiewende?

21. Juni 2023

Nicht selten wird Wasserstoff mit Champagner, dem luxuriösen französischen Schaumwein, verglichen. Warum?

Nicht selten wird Wasserstoff mit Champagner, dem luxuriösen französischen Schaumwein, verglichen. Warum? Beide Produkte sind in ihrer Herstellung teuer und aufwendig, und sie sind nur in vergleichsweise geringen Mengen vorhanden. Daher sollte Wasserstoff – genau wie sein sprudelndes Pendant – nur für spezielle Anlässe genutzt werden. Metaphorisch gesprochen dürfen die Korken also nur dann knallen, wenn keine Alternativen verfügbar sind – so die Sichtweise der einen Seite. Auf der anderen Seite sehen viele Personen in Wasserstoff einen der wichtigsten Energieträger der Zukunft. Er soll nicht nur in zahlreichen industriellen Prozessen als Ersatz für Erdgas, Öl und Kohle zum Einsatz kommen, sondern auch eine entscheidende Rolle als speicherbarer Energieträger in unserer Versorgung mit erneuerbarem Strom spielen. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist Wasserstoff eher Grundnahrungsmittel als Luxusgut – eher Brot als Champagner. Wie lassen sich diese Ansichten miteinander vereinbaren? Dazu haben wir Stephan Bauer von der RAG Austria AG befragt, der uns die Hintergründe dieser Vergleiche erläutert und von dem auch die Zitate im Text stammen. Also, Prost… oder besser gesagt, Mahlzeit!

”Derzeit exportieren wir im Sommer einen bedeutenden Überschuss an erneuerbarem Strom, um dann im Winter oft weniger umweltfreundlichen Strom zu importieren.”

Bevor wir uns dem Thema Wasserstoff zuwenden, ist es wichtig, einen kurzen Blick auf unser Stromsystem zu werfen. In Österreich werden bereits heute fast 80% der Elektrizität aus Wasserkraft, Windenergie und Solarenergie gewonnen. Damit gehören wir zur europäischen Spitze. Allerdings handelt es sich bei diesen 80% um einen Jahresdurchschnitt. Der Anteil erneuerbarer Energien in unseren Steckdosen kann je nach Jahreszeit und Wetterbedingungen stark schwanken. Bei ausreichendem Niederschlag, Wind und Sonnenschein erzeugen wir heute schon mehr nachhaltigen Strom als wir verbrauchen können. So auch in der aktuellen Situation: Aufgrund hoher Niederschlagsmengen im Mai 2023 exportieren wir derzeit überschüssigen Strom aus unseren Wasserkraftwerken in die EU. In anderen Monaten, wenn weniger Wasser, Wind und Sonne zur Verfügung stehen, müssen wir hingegen Strom importieren.

Dieses Prinzip wird aber in Zukunft so nicht mehr funktionieren. Denn mit dem Fortschreiten der Energiewende werden viele EU-Länder an Tagen mit ausreichend Wasser, Wind und Sonne einen erheblichen Anteil an nachhaltigem Strom erzeugen. Dies führt dazu, dass die Stromnachfrage auf dem Strommarkt an diesen Tagen deutlich sinkt und ein Export unserer überschüssigen Energie nicht mehr rentabel sein wird. Das Stromangebot übersteigt in diesem Szenario also die Stromnachfrage, weshalb die Preise sinken bzw. sogar negativ werden können: In diesem Fall – dem Wunschszenario für die Herstellung von Wasserstoff – wird man für die Abnahme von Strom bezahlt. Da Wasserstoff einen Teil der aktuell fossilen Energie (derzeit 2/3 des Energiemixes) ersetzen soll, reicht es für seine Herstellung aber nicht aus, den Status Quo der Stromversorgung durch erneuerbaren Strom aufrechtzuerhalten, es braucht ein zusätzliches Plus an erneuerbarem Strom. Gleichzeitig wird an Tagen, insbesondere in den Wintermonaten, wenn wir weniger Energie aus Wasser-, Wind- und Sonnenkraftwerken gewinnen können, das genaue Gegenteil eintreten: Es wird insgesamt deutlich weniger grüner Strom auf dem Markt verfügbar sein. Hinzu kommt, dass wir gerade in der kalten Jahreszeit durch den Austausch von Öl- und Gasheizungen gegen Wärmepumpen mehr Strom verbrauchen werden. Daher besteht die Möglichkeit, dass wir im Sommer zu viel und im Winter zu wenig Strom zur Verfügung haben werden. Also, wohin mit dem überschüssigen Strom im Sommer und woher soll der Strom im Winter kommen?

„Es wird vorausgesagt, dass wir im Jahr 2030 etwa 10 Terawattstunden an saisonalen Stromspeichern benötigen, was bedeutet, dass wir den überschüssigen Sommerstrom für den Winter speichern müssen.”

Neue Energiespeicherlösungen könnten diese Herausforderung bewältigen. Der Plan besteht darin, den Überschussstrom aus Wasser-, Wind- und Solarenergie im Sommer zu speichern, um ihn im Winter zu nutzen. Doch der Weg dorthin ist komplex, denn gängige Speichersysteme wie Pumpspeicherwerke oder Batterien sind für den Tagesausgleich ausgelegt, aber nicht für die saisonale Speicherung so großer Strommengen. Hier kommt der Wasserstoff ins Spiel. Einmal produziert, kann Wasserstoff lange gelagert werden. Allerdings gehen bei der Umwandlung mit aktuell verfügbaren Technologien 30% der eingesetzten Energie verloren, wodurch sein Wirkungsgrad geringer ist als der anderer Speichermedien. Die Steigerung des Wirkungsgrades in der Wasserstoff-Kette ist daher bereits ein wichtiges Forschungsthema.

„Wasserstoff wird oft wegen seines suboptimalen Wirkungsgrads kritisiert, im Vergleich zu einem Pumpspeicher ist er tatsächlich weniger effizient. Aber wir müssen uns fragen: Was ist die Alternative? Wenn wir unsere sommerlichen Energieüberschüsse nicht ins Netz einspeisen können, weil der Strom nicht benötigt wird, dann werden Windräder aus dem Wind genommen, Solarenergie wird deaktiviert und Wasser in Wasserkraftwerken einfach durchgelassen. Diese Energie hat dann einen Wirkungsgrad von null.”

Die Umwandlung von überschüssigem Sommerstrom in Wasserstoff ist also viel effizienter, als diesen Strom überhaupt nicht zu nutzen. Dies ist allerdings leichter gesagt als getan, denn die Umwandlung und Speicherung solch riesiger Mengen an Wasserstoff stellt eine große technische Herausforderung dar. Wasserstoff ist ein sehr flüchtiges und brennbares Molekül, daher benötigt er sehr dichte und sichere Lagerstätten. Hier setzt das Forschungsprojekt „Underground Sun Storage“ an, das von Stephan Bauer geleitet wird. Es wandelt erneuerbare Sonnenenergie mittels Elektrolyse in grünen Wasserstoff um und speichert ihn in ehemaligen Erdgaslagerstätten. So entstand in der Gemeinde Gampern der weltweit erste Wasserstoffspeicher in einer ausgeförderten Erdgaslagerstätte. Der Wasserstoff wird in einer Tiefe von 1000 bis 1500 Metern, genauer gesagt in der Molassezone, in den Poren des dortigen Sandsteins gespeichert. Der Vorteil dieses natürlichen Lagerorts liegt in seiner hohen Dichtigkeit.

„Champagner wird ja auch im Keller gelagert, also passt die Analogie vielleicht ganz gut. Aber wenn wir unsere Klimaziele ernst nehmen, muss Wasserstoff vom Luxusgut zum Grundnahrungsmittel der Energiewende werden.”

Der in Gampern produzierte und gespeicherte Wasserstoff entspricht dem Sommerüberschuss von etwa 1000 Photovoltaik-Anlagen auf Einfamilienhäusern. Dies ist eine beachtliche Menge für eine Versuchsanlage. Allerdings würden mehr als 2500 solcher Anlagen benötigt, um die erforderliche Speicherkapazität von 10 Terawattstunden als saisonalen Speicher zu erreichen. Diese Zahlen verdeutlichen die Notwendigkeit, im nächsten Schritt auch eine Skalierung der Anlagengröße vorzunehmen.

Darüber hinaus ist für den Transport von Wasserstoff auch ein Leitungsnetz erforderlich. Denn die Wasserstoffproduktion wird dort erfolgen, wo viel Strom vorhanden ist, und nicht unbedingt dort, wo er gerade benötigt wird. Hierbei soll das bestehende Gasnetz zur Lösung dieses Problems genutzt werden. In den kommenden Jahren soll es schrittweise zu einem Wasserstoffleitungsnetz umgebaut werden. Der Transport von 100 Prozent Wasserstoff, die Beimischung von Wasserstoff zum Erdgasstrom oder die Methanisierung vor der Beimischung sind mögliche Optionen für die Nutzung des Gasnetzes für Wasserstoff.

Die Herausforderung, Wasserstoff in der benötigten Menge zu produzieren und ihn von einem Luxusgut zu einem Grundnahrungsmittel der Energiewende zu machen, ist also sehr komplex. Mit dem Jahr 2030 im Anmarsch, ist der Druck zur Erreichung der gesteckten Ziele hoch. Gleichzeitig steht außer Frage, dass die Stromüberschüsse, die vor allem im Sommer durch den Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen entstehen, genutzt und nicht verschwendet werden sollten. Wasserstoff und die effiziente Energiespeicherung werden deswegen zu einem der zentralen Themenfelder und der obersten Prioritäten der kommenden Jahre werden.

Wenn du nun tiefer in dieses Thema eintauchen möchtest, möchten wir dir einige unserer Podcast-Episoden ans Herz legen. In Folge 05, „Die Kohle der Zukunft?“, haben wir uns ausführlich mit Wasserstoff beschäftigt und die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten in der Industrie diskutiert. In der Folge 19, “Das Speicherterzett”, steht das Thema Energiespeicherung im Mittelpunkt und in der Folge 25, “Dekarbonisierung der Industrie”, haben wir einiges über die zukünftige europäische Wasserstoffwirtschaft erfahren. Die Episoden findest du direkt zum Nachhören unten angehängt.

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Wasserstoff Atom
Warum hat Wasserstoff das Potential unser Energiesystem zu revolutionieren? Und was hat das alles mit einem Moped in Wien zu tun? Um das zu beantworten, reisen wir durch Zeit und Raum. Dabei besuchen wir Anne Ebert im Technischen Museum im 14. Wiener Gemeindebezirk und sprechen mit Manfred Schrödl von der TU-Wien.
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Erdgas, Erdöl und Kohle sind eigentlich sehr praktikabel. Denn sie sind nichts anderes als Energiespeicher, die man immer dann einsetzen kann, wenn man gerade Energie braucht. Mit der Energiewende, also dem kompletten Umstieg auf erneuerbare Energie, stellt sich nun aber die große Frage: Wie speichern wir in diesem neuen System Energie? In Teil I unserer zweiteiligen Serie zum Thema Energiespeichern schauen wir uns verschiedene Möglichkeiten an, wie man Strom nachhaltig speichern kann. Dafür erklärt uns Kurt Leonhartsberger die Vor- und Nachteile von Technologien wie Power to Gas, Pumpspeicherkraftwerken in den Bergen und unter Wasser und Batteriespeichern für die eigene Photovoltaik-Anlage. Reinhard Ungerböck vom Projekt Second Life - Batteries 4 Storage erzählt uns, wie man Elektroautobatterien zu einem zweiten Leben verhilft. Die Speicherinitiative des Klima- und Energiefonds: https://speicherinitiative.at/ Second Life. Batteries 4 Storage: https://greenenergylab.at/projects/secondlife-batteries/
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In dieser Episode dreht sich bei uns alles um die Industrie. Also um den Teil unserer Gesellschaft, den wir gerne verteufeln, aber deren Produkte wir gleichzeitig tagtäglich konsumieren. Sie füllen unsere Supermärkte und Medikamentenschränke, bringen uns von A nach B und oder spielen dir diesen Podcast in die Ohren. Doch gleichzeitig entstehen bei der Produktion Unmengen an Emissionen. Das heißt wir müssen unsere Industrie dekarbonisieren - und zwar schon in den nächsten 30 Jahren. Um zu verstehen welche Strategien verfolgt werden um dieses Ziel der Netto-Null in dieser kurzen Zeitspanne erreichen zu können, haben wir mit drei Personen gesprochen, die sich täglich genau mit diesem Thema auseinandersetzen: Mit Eva Schmid von der Deutschen Energieagentur, mit Christian Holzleitner, Referatsleiter der Generaldirektion Klimapolitik der Europäischen Union und Elvira Lutter, Mission-Direktorin der Initiative Net-Zero-Industries-Mission.
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